Freiheit will geübt sein || Basler Zeitung, 05.05.2011

Basler Zeitung, 05.05.2011
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Bereits als Teenager warJean-Paul Brodbeck von seiner Zukunft als Musiker überzeugt. Inzwischen 37, zählt der Basler Jazzpianist längst zu den Virtuosesten seiner Zunft.

Der grosse Bruder rief undJean-Paul Brodbeck folgte. Und machte sich, wie gefordert, flugs dran, den freien Bandplatz am Klavier zu besetzen. Das Instrument war für den damals Elfjährigen absolutes Neuland. Eins, das er schnell eroberte. Obwohl seine Mutter, eine Schauspielerin, selber Klavier und klassische Musik spielte, sei ihm das Instrument nie aufgedrängt worden, sagt Brodbeck. Worum er noch heute froh scheint. «Ich konnte schon spielen, bevor ich genau wusste, was ich eigentlich mache.» Angespornt wurde er dabei von kontinuierlichen Fortschritten und einer bis heute anhaltenden Grundenergie.

Mit dem autodidaktischen Vorgehen war bald Schluss. Brodbecknahm Stunden, war sich mit zwölf hinsichtlich seines Berufswunsches Musiker absolut sicher und besuchte mit 17 das Konservatorium. «Ohne diese Ausbildung wäre ich ein anderer», sagtBrodbeckmit einer Entschlossenheit, die sich in seinen Augen widerspiegelt. Für einen Pianisten sei es das Grösste, klassische Musik zu studieren, eine mehr als solide Basis. «Auf diese Weise musste ich auch keine Jazzschule besuchen.»

INSTITUTION. Nicht, dass Brodbeckderlei Institutionen nicht schätzen würde – schliesslich unterrichtet er mittlerweile selbst einmal die Woche an einer solchen –, aber: «Vielleicht hätte ich dabei die Freude am Jazz verloren.» Es sei eben sein Anspruch, dass ihm niemand beim Jazz reinrede. «Ich will ihn auf meine Art machen. Vielleicht ein Überbleibsel meiner autodidaktischen Anfänge», sinniert der Basler.

Obschon er einst auch bei der Raptruppe P-27 mitwirkte und seit jeher stilistisch breite Interessen pflegt, ist und bleibt der Jazz seine grosse Liebe. «Jazz is what you are, not what you play», zitiert er die Saxofonlegende Sonny Rollins. Es gebe keinen anderen Stil, bei dem man seine eigene Persönlichkeit so sehr einfliessen lassen könne. «Beim Jazz kannst du dich weder vom Moment noch von der Improvisation ausschliessen», schwärmt Brodbeckund blüht regelrecht auf. «Wer diese Art von Freiheit einmal gespürt hat, kann nie wieder von ihr lassen.»

Was nicht heissen soll, dass der 37-Jährige, den es vor Energie ganz offensichtlich juckt, die Finger Tag und Nacht auf den Tasten hat. Mitunter sei es wichtiger, «die Freiheit zu üben». Wie das genau vonstattengehe, wisse er nicht, gesteht Brodbeck. Klar sei, dass er selber einen überaus intuitiven Zugang zur Musik habe. «Mir steht der Kopf nicht im Weg.» Vieles erreiche man über die Arbeit, sprich übers In-sich-Gehen, das Suchen nach Tiefe oder das Verfolgen des Ichs.

Obwohl es schon Labels gegeben habe, die ihm einen Vokalisten aufschwatzen wollten, bevorzugt es Brodbecknach wie vor, sein Instrument sprechen zu lassen. «Ich probiere, auf dem Flügel zu singen, es ist ein Probieren der Natürlichkeit.» Denn: «Sobald etwas zu konstruiert klingt, verflüchtigt sich mein Interesse.»

INSPIRATION. Sieben Jahre ist es her, seit es den in verschiedensten Formationen agierenden Brodbeckvon Basel nach Zürich verschlug. Weil dort mehr passiere, weil dort ein etwas «jüngerer Groove» herrsche. «Heutzutage kommt es für einen Musiker jedoch zunehmend weniger drauf an, wo er wohnt», sagt er. Billigere Flug- und Reisepreise machen vieles möglich. Auswandern sei kein Thema, dennoch lockt und zerrt es ihn nach neuen Erfahrungen, weshalb es ihn ganz besonders freut, dass er das Stipendium der Stadt Zürich gewonnen hat: Im September gehts für ein halbes Jahr nach New York, wo er nicht zuletzt auf inspirierende Sessions hofft.

In dieser Zeit wird seineJean-Paul Brodbeck Group mehrheitlich ruhen müssen. Aber noch ist es nicht so weit, jetzt soll erst mal die brandneue CD «see» gefeiert werden. Produziert wurde das Album, das am Jazzfestival Basel erstmals vorgestellt wird, vonBrodbeckselbst. Worüber er nicht nur glücklich ist. Nicht weil die Aufgabe eine uninteressante wäre, sondern weil sie viele Kräfte absorbiert. «Es ist extrem viel Selbstarbeit, wenn man alleine fürs Business, die Produktion oder den Klang einer CD verantwortlich ist.»

Sein grösster Wunsch wäre es, dereinst mit einer einzigen Band auf Tour zu gehen und gleich 60 Konzerte zu geben. Ein erfüllbarer Traum? «Schwierig, aber nicht unrealistisch.»

von ICHAEL GASSER