Jean-Paul Brodbeck: Musik mit Herz || Jazz Zeit, Ausgabe April/Mai 08 Nr. 71

www.jazzzeit.at, Ausgabe April/Mai 08 Nr. 71

Der Pianist Jean-Paul Brodbeck im Gespräch über die Kunst des Essens und Musizierens, seine anstehende Konzerte, die Schönheit der Musik. [...]Am Abend vorher habe er wieder mal ein Solo-Konzert gespielt, in Luzern: "Für mich war es gut, wieder mal solo zu spielen. Je länger, je mehr versuche ich, mich auf die Intuition zu verlassen." Hat sich das Programm also von der Solo-CD "Lyrical Output" (2003) entfernt? "Nicht unbedingt, ich spiele schon Stücke, aber dazwischen spiele ich manchmal frei. Und ich habe keine feste Reihenfolge." Am Tag vor dem Solo-Konzert war der "Steady Gig" im Zürcher Club Helsinki, dort ist das Konzept ein anderes: Die Band wird angehalten, mit ihrer Musik dafür zu sorgen, dass die Leute das Lokal besuchen. Was Jean-Paul Brodbeck nicht daran hindert, mit dem Trio "Paul's Boutique" modernen Jazz zu spielen - und die Leute kommen. Aber damit noch nicht genug: Neuerdings ist Jean-Paul Brodbeck auch wieder Sideman, im Quartett von Wolfgang Muthspiel, dort steht ein CD-Release im April mit anschließender Tour bevor. Und dann der momentane Schwerpunkt: Am 1.April beginnt die Tour durch Österreich mit dem Tschaikowski-Projekt. Brodbeck hat viel zu tun, und genießt das offensichtlich. 

Das Tschaikowski-Projekt ist jetzt ein Jahr alt, und hat schon einen ziemlichen Weg hinter sich. Ursprünglich war der Plan, eine Platte mit lauter Balladen zu machen. Balladen, und Tschaikowski? Bei Tschaikowski denken die meisten an den Nussknacker, oder vielleicht an das erste Klavierkonzert - Jean-Paul Brodbeck aber ist auf hochromantische Melodien bei Tschaikowski gestoßen, auf seine frühen Romanzen. Aus diesen Romanzen hat er diejenigen ausgewählt, die sich für die Interpretation als Jazz-Ballade eignen. Das Ergebnis ist eine klanglich wundervoll ausbalancierte, ruhige Trio-Platte, Balsam für jede, nicht nur für die sprichwörtliche russische Seele. Dass aber eine Studio-Produktion nicht dasselbe wie ein Live-Auftritt ist, versteht sich von selbst. Und auch wenn Jean-Paul Brodbeck schon Gelegenheit hatte, das Tschaikowski-Projekt live zu spielen, zum Beispiel am Jazzfestival Basel - auf Tour war er mit dem alten Russen noch nie. Dazu kommt: Nicht Samuel Roher, der auf der CD spielt, wird die Tour spielen, sondern der italienische Drummer Emanuele Maniscalco. Ein Risiko? "Emanuele ist ein Supermusiker und flexibel, und mit Fabian Gisler, dem Bassisten, bin ich so gut eingespielt; Emanuele wird sich einfach draufsetzten können. Wichtig ist mir, dass meine Mitmusiker die Stimmung übernehmen können." Und wie spielt man ein Balladen-Programm live? "Ich glaube, dass durch das Spielen auf der Tour das Ganze geöffnet werden wird. Auch bei meinem Solo-Konzert gestern habe ich eine Nummer aus dem Tschaikowski-Programm gespielt, und man kann recht weit gehen mit dem Material. Ich bin gespannt, wo es hinführt." 

Dass das Material gut auf eine Öffnung reagiert, hat das Konzert in Basel auf jeden Fall schon gezeigt. Die Band wählte dort zum Teil schnellere Tempi und treibendere Grooves, und dass das funktionierte, beweist nicht nur die Qualität der Band, sondern auch, wie solide die Themen von Tschaikowski sind. Hat Jean-Paul Brodbeck für ein nächstes Projekt vielleicht schon einen weiteren klassischen Komponisten im Visier? Brodbeck schüttelt den Kopf: "Ich möchte wieder meine Kompositionen spielen." Dafür ist sogar ein eigenes Trio-Projekt schon wieder in Planung, ein Konzert am Zürcher Festival "Stadtsommer" steht bereits fest. "Es ist an der Zeit, dass ich wieder meine eigenen Stücke spiele. Ich schreibe viel, zum Teil auch Songs." Pop-Songs? "Ja, Pop-Songs im besten Sinne von Songwriting. Aber das sollte man eigentlich noch nicht erwähnen..." 

Jean-Paul Brodbeck wollte zuerst klassischer Pianist werden, besuchte das Konservatorium bis zum Lehrdiplom, und entsprechend fließend und differenziert im Anschlag ist auch seine Technik. Kann ein junger Jazzer heute ohne klassische Ausbildung überhaupt noch bestehen? Brodbeck ist überzeugt, dass es keinen klassischen Background braucht, um Jazzpianist zu werden. Und doch: "Klar, das Klavier hat natürlich eine riesige klassische Tradition, und die ist schon die Basis." Aber ein Thelonious Monk habe sich schließlich auch nicht darum gekümmert, technisch perfekte Arpeggios abzuliefern. Der hatte einfach seinen Ausdruck.

Woher kommt denn eigentlich der Jazzer Brodbeck? "Herbie Hancock und Bud Powell, das sind meine Wurzeln. Vor allem Bud Powell, wie der mit 20 gespielt hat - das ist wie ein moderner, ein reduzierter Art Tatum - und mit 30 hatte er seinen Zenit überschritten und war ein gebrochener Mann. Eine schlimme Geschichte, aber wie der Klavier gespielt hat! Es gibt Platten, wo er spielerisch nicht mehr wirklich in Form ist, aber da ist noch immer so viel Herz drin!" 

Und Herz, das ist ein gutes Stichwort. Jean-Paul Brodbeck möchte Musik mit Herz machen, und er möchte seine Zuhörerinnen und Zuhörer berühren und begeistern. Das sei auch mit eine Aufgabe der heutigen Musiker, findet er, neben der Gewalt und Tristesse auf der Welt auch deren Schönheit zu zeigen. In diesem Sinne habe seine Musik im Grunde auch eine politische Färbung. Und: Den heutigen Kids fehle oft die Begeisterung. Nun, an Begeisterung fehlt es Brodbeck auf jeden Fall nicht. Im Flug ist eine Dreiviertelstunde vorbei, und Jean-Paul Brodbeck macht sich auf den Weg, um noch zu üben. Und danach? Danach ist der Abend ausnahmsweise offen - Zeit, die Batterien aufzuladen für die Tour in Österreich. 

von Jodok Hesse