Flügel mit Flügeln: Jean-Paul Brodbeck || Thurgauer Zeitung, 16.01.2009
Thurgauer Zeitung, 16.01.2009
Jazz:now im Eisenwerk Frauenfeld ist mit einem wunderbaren Konzert ins neue Jahr gestartet. Pianist Jean-Paul Brodbeck kombinierte mit seinem Trio mitreissende Rasanz und schwelgerische Romantik auf inspirierte und souveräne Weise.
Frauenfeld – Seit einigen Jahren erlebt der Piano-Trio-Jazz hierzulande eine unglaubliche Blütezeit. Die Liste der Schweizer Pianistinnen und Pianisten, die in diesem Genre auf die eine oder andere Weise zu überzeugen wissen, ist lang: Malcolm Braff, Hans Feigenwinter, Colin Vallon, Vera Kappeler, Chris Wiesendanger, Christoph Stiefel, Michael Beck, Hans-Peter Pfammatter usw.
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die Wahl von Räto Harder, der bis Mai die Verantwortung für das Programm von Jazz:now im Eisenwerk in Frauenfeld trägt, fiel auf das Trio von Jean-Paul Brodbeck. Das war eine sehr gute Wahl, wie das zugleich spannungsvolle und subtile Konzert zeigte, dessen abwechslungsreiches Programm aus Kompositionen Brodbecks und Standards bestand.
Der in Zürich wohnhafte Basler Brodbeck, der eine klassische Ausbildung absolvierte, darf als Spezialist für lyrischen und modernen Piano-Trio-Jazz bezeichnet werden. Zu seinem ersten Trio, mit dem er zwei Alben einspielte, gehörten Peter Frei (Bass) und Dominic Egli (Schlagzeug). Mit Fabian Gisler und Samuel Rohrer erarbeitete Brodbeck ein aussergewöhnliches Programm, das aus Bearbeitungen von Liedern des russischen Komponisten Tschaikowsky besteht (und auch auf CD vorliegt). Mit Gisler und Claudio Strüby tritt Brodbeck jeden Dienstag im Club Helsinki in Zürich auf. In Frauenfeld präsentierte der Pianist eine Besetzung, die ihre erfolgreiche Premiere am letzten Zürcher Stadtsommer hatte und für die er neben seinem langjährigen Weggefährten Gisler den deutschen Wunderschlagzeuger Dejan Terzic gewinnen konnte. Terzic dislozierte vor nicht allzu langer Zeit nach Bern, wo er an der Hochschule der Künste unterrichtet – und wenn nicht alles täuscht, dürfte er zu einer enormen Bereicherung für die hiesige Szene werden (mit DL-Factor des Saxofonisten Domenic Landolf wirkt Terzic bereits in einem weiteren tollen schweizerischen Trio mit).
Sensibel und impulsiv
Wie etwa Jorge Rossy (Brad Mehldau Trio) oder Jochen Rückert (Marc Copland Trio), so ist auch Terzic ein Schlagzeuger, der selbst dann eine enorme Spannung erzeugt, wenn er ganz leise und minimalistisch spielt. Wie er den Rhythmus zerlegt und in kleinen Einheiten voller nervös pulsierender Kraft neu zusammensetzt, ist atemberaubend. Terzic, der sich mit seinem transatlantischen Quartett Underground als Modern-Balkan-Jazz-Bandleader profilierte, ist kein braver Ring-a-ding-ding-Begleiter, sondern ein zugleich sensibler wie impulsiver Impulsgeber, der auch die koloristischen Valeurs seines Instruments hellhörig auszuschöpfen versteht.
Ein solch hinterlistiger und technisch brillanter Schlagzeuger ist eigentlich mehr als die halbe Miete – vorausgesetzt, die anderen Musiker behalten die Nerven, lassen sich nicht überrumpeln und verlieren nicht die Übersicht. Die gute Nachricht: Brodbeck und Gisler behielten die Nerven. Und die schlechte Nachricht? Die gibt es dieses Mal nicht. Brodbeck ist kein Neuerer mit klaren konzeptionellen Ideen, sondern ein auf den erfüllten Moment fokussierter Jazzpianist, der nicht vor romantischer Emphase (nicht zu verwechseln mit rhapsodischer Süssholzrasplerei) zurückschreckt. Zuweilen bringt er den Flügel richtiggehend zum Singen, manchmal verleiht er ihm Flügel.
Einer für alle, alle für einen
Dass er Keith Jarrett über alle Massen bewundert, hört man; die vertrackte und extrem rasante Version von Cole Porters «It’s Alright With Me» erinnerte an Brad Mehldau. Mit seinem Trio setzt Brodbeck keine Trends, sondern praktiziert eine zugleich zeitlose und zeitgenössische Form von Interplay, bei der die Individualität aller Beteiligten zum Tragen kommt, ohne dass darunter das musikalische Gesamtresultat leidet: Einer für alle, alle für einen. (TOM GSTEIGER)