Thurgauer Zeitung 23 Februar 2006
Der klassisch ausgebildete Jazzpianist Jean-Paul Brodbeck praktiziert mit seinem generationenübergreifenden Trio die Kunst des interaktiven Musizierens auf hohem Niveau. Am Freitag im «Kastanienhof».
Für Liebhaberinnen und Liebhaber von Klaviertrio-Jazz wird die Schweiz langsam, aber sicher zum Paradies. Um zu dieser Überzeugung zu gelangen, muss man beileibe über keinen überschwänglichen Lokalpatriotismus verfügen – zwei offene, neugierige Ohren reichen vollauf. Die einheimischen Formationen mit einem Pianisten, einem Bassisten und einem Schlagzeuger, die mehr zu bieten haben als solides Handwerk, lassen sich längst nicht mehr an einer Hand abzählen. Hiermit gilt es ein weiteres Triumvirat vorzustellen, das zwar über internationales Format verfügt, aber noch vor der beschwerlichen Aufgabe steht, sich im lokalen Rahmen eine den Insider-Status sprengende Reputation zu erspielen. Vorhang auf für das Trio des 1974 geborenen Pianisten Jean-Paul Brodbeck, zu dem mit dem Schlagzeuger Dominic Egli ein omnipräsenter Youngster und mit dem Kontrabassisten Peter Frei ein allzu selten in Erscheinung tretender «elder statesman» gehören.
Wagner-Stück als Jazzballade
Vom Trio sind bisher die Alben «Ways to You» und «Ground» (beide Universal) erschienen, die Zeugnis ablegen von einer zuweilen beinahe telepathischen Hellhörigkeit und einem nicht zuletzt auf lyrische Nuancen ausgerichteten Gestaltungswillen. Brodbeck hat keine Jazzschule besucht, sondern eine Konservatoriumsausbildung absolviert. Seine Liebe zur komponierten Musik des Abendlands überführt er auf absolut unverknorzte und zurückhaltende Weise in den Jazzkontext. Wenn er zum Beispiel aus einem Englischhornsolo aus «Tristan und Isolde» eine Ballade destilliert, die in ihrer Empfindungstiefe an Bill Evans erinnert, beweist er damit weitaus mehr Kunstsinn und Reife als Uri Caine mit seinen originalitätssüchtigen Wagner-Bearbeitungen.
Faible für subtile Details
Der Zufall hat uns in jüngster Zeit zwei sublime Piano-Trio-Versionen der Ballade «My Old Flame» beschert, die dank der Version von Charlie Parker aus dem Jahre 1947 zu einem Bestandteil des Standardrepertoires geworden ist. Während Enrico Pieranunzi seinen «Special Encounter» (CamJazz) mit den US-Maestros Charlie Haden und Paul Motian mit diesem Stück eröffnet, erklingt es auf Brodbecks Trio-Zweitling in der Hälfte eines Albums, das sich nicht zuletzt durch eine kluge, unaufgeregte Dramaturgie auszeichnet. Was der in Zürich wohnhafte Basler mit dem Römer gemeinsam hat, ist nicht nur die klassische Ausbildung und ein Faible für subtile Details, sondern auch eine ausgeprägte kompositorische Ader: Zwei Drittel der zwischen Sehnsuchtstrunkenheit und Melancholie oszillierenden Nummern auf «Ground» stammen von Brodbeck.
TOM GSTEIGER